Innenansicht der Runge-Orgel in Döbbersen, Foto: Heiko Preller

Kleine und große Königinnen

Details unserer Orgeln

Wussten Sie, dass eine Orgel »lebt«?

Die Orgelspiele Mecklenburg-Vorpommern wecken die Orgeln, die zu den Konzerten „geschlagen“ werden, nach dem Winter wieder auf. Während der Wintermonate finden die Gottesdienste in der Regel nicht in der Kirche, sondern in einem beheizten Gemeinderaum o. ä., der sog. Winterkirche, statt. Entsprechend ruhen die Orgeln und werden nicht bespielt. Sie versinken in der kalten Kirche in den Winterschlaf. Unbemerkt nisten sich mancherorts sogar Mäuse, Fledermäuse, Käuzchen und Eulen in der Orgel ein. Mangels Nutzung „rosten“ Tasten und Züge ein und klemmen oder werden zumindest schwergängig: Die Orgeln haben „Heuler“ oder manche Pfeifen ertönen erst gar nicht mehr. Orgeln sind lebendige Mechanismen, deren Materialien u. a. auf Temperatur und Feuchtigkeit oder Trockenheit reagieren und auch darauf, nicht genutzt und in Betrieb gehalten zu werden. Die Orgeln sind nach dem Winter zumindest „verstimmt“.
Also muss rechtzeitig ein Orgelbauer her und die Orgeln warten und aus dem Winterschlaf holen und in Betrieb nehmen, so dass unsere Organisten*innen frei aufspielen und die Königinnen ihren Klang gebührend entfalten können.

Erste größere Orgel eines Mecklenburger Newcomers

Hinter den Prospektpfeifen der Winzer-Orgel in Zarrentin, Foto: Heiko Preller

Die Winzer-Orgel verfügt über zwei Manuale, Pedal, mechanische Schleifladen und hat 19 Register.  

Die Orgel in Zarrentin ist Winzers erster größerer Orgelneubau. Winzer hatte seit seiner Niederlassung 1840 in Wismar bereits einige kleine Orgeln gebaut und am Umbau der großen Orgel in der Marienkirche Rostock gewirkt. Erneut präsentierte der mecklenburger Newcomer seine Klangvorstellungen, hier an der Zarrentiner Orgel erstmalig auf zwei Manualen. Dem Fachmann fällt auf, dass in der Abfolge der Registerlagen (16-Fuß, 8-Fuß, 4-Fuß usw.) zwischen 4-Fuß und den Mixturen die 2-Fuß-Lage nicht disponiert ist. Das ist auch später bei Winzer oft zu erleben. Ein Merkmal seiner Orgeln ist der ausgesprochen kräftige Klang, den kein anderer Orgelbauer hierzulande in dieser Stärke schuf. Das ist keine Neuerung Winzers. Er hatte das in ähnlicher Weise bei seinem Lehrmeister Johann Friedrich Schulze in Paulinzella kennengelernt.  
Die Orgel wurde – aus Geldmangel – durch Winzer nicht mit allen Registern besetzt. Drei Reihen aus dem II. Manual und eine Reihe im Pedal blieben unbesetzt.
1917 mussten die Prospektpfeifen – alle sichtbaren Pfeifen in der Fassade – zur Kriegsmetallgewinnung abgegeben werden. Das war in der Geschichte der Orgel ihr einziger Substanzverlust. Eine Reinigung und Reparatur führte Klaus Becker (Kupfermühle) 1991 bis 1993 aus. Dabei stellte er auf den freien Platz im Pedal einen Choralbass 4’ und in das II. Manual besetzte er die geplante Stelle des Geigenprinzipal 4‘ mit Pfeifen.
Der Zustand der Orgel wurde jedoch immer schlechter. Immerhin hatte es in den mehr als 150 Jahren Nutzung keine tiefgreifende Restaurierung gegeben. 2013/2014 führte die Dresdner Firma Kristian Wegscheider eine sehr umfangreiche Restaurierung durch. Dabei wurden die noch unbesetzten Register mit Pfeifen in der Bauweise Winzers besetzt und somit die Orgel nach 160 Jahren im Sinn ihres Erbauers vollendet.
Die Orgel ist ein sehr klangvielfältiges Instrument, auf dem Orgelmusik vieler Epochen – nennen wir getrost ganz speziell auch die Epoche des Barock und die Epoche der Romantik – gespielt werden kann.
Friedrich Wilhelm Winzer wurde 1811 in Mellenbach (Thür.) geboren. Den Orgelbau erlernte er bei Johann Friedrich Schulze in Paulinzella. Als Werkmeister Schulzes kam Winzer nach Wismar, um den großen Orgelneubau in der Marienkirche zu leiten. 1840 verlegte er seinen Wohnsitz nach Wismar und führte ab 1841 eine eigene Werkstatt. Zahlreiche, heute noch vorhandene, Orgeln baute er in Mecklenburg. 1873 verkaufte er die Werkstatt an Friedrich Albert Mehmel (Stralsund). Winzer starb 1886 in Wismar.

Disposition Zarrentin:

1. Manual (Hauptwerk) / C-f3

  • Bordun 16’
  • Principal 8’
  • Viola di Gamba 8’
  • Hohlfloete 8’
  • Gedact 8’
  • Octave 4’
  • Mixtur 3’ 4fach
  • Scharf 2’ 3fach

2. Manual (Hinterwerk) / C-f3

  • Liebl. Gedact 16‘, (2014)
  • Liebl. Gedact 8’
  • Flauto traverso 8’
  • Salicional 8’, (2014)
  • GeigenPrincipal 4’, (1991)
  • Gedact 4’

Pedal / C-d1

  • Subbaß 16’
  • Principalbaß 8’
  • Violoncello 8’
  • Gedactbaß 8’
  • Posaunenbaß 16’, (2014)

 

  • Calcantenzug
  • ManualCoppel
  • PedalCoppel

Sie hören die Orgel in diesem Konzert.

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